Gendern – wieso, weshalb, warum?
Einige haben jetzt wahrscheinlich die Augen verdreht und sich gedacht: «Ach nö, nicht schon wieder...». Und ja, ich gebe euch Recht. In den vergangenen Jahren wurde viel mehr zum Thema Sexualität, Gender und gendergerechte Sprache berichtet als je zuvor. Die Informationen zum Gebrauch einer gendergerechten Sprache überrollten einige regelrecht. Ich habe auch den Eindruck, dass sich viele fragen, wieso sich nun die ganze grosse Mehrheit einer Minderheit anpassen soll.
Wer gehört denn zu dieser Mehrheit oder noch viel wichtiger existiert sie überhaupt? Bereits der Begriff Mehrheit im Zusammenhang mit der Ganzheit der Menschheit zu nutzen, löst in mir ein grosses Fragezeichen aus. An der Universität Bern gehörte ich zum Beispiel mit meinem Solothurner Dialekt zu einer Minderheit, aber in meinem Freundeskreis entspreche ich, an diesem Merkmal gemessen, eher der Mehrheit. Und so verhält es sich mit jedem Merkmal, welches meine Identität ausmacht. In der einen Umgebung zähle ich absolut zur Mehrheit und in einer anderen eher zu einer Minderheit. Aber die Sache ist noch viel verzwickter, denn ich weiss eigentlich die meiste Zeit gar nicht, ob ich im Moment zur Mehrheit oder zur Minderheit gehöre. Dazu müsste ich alle, die mich zu genau diesem Zeitpunkt umgeben, sehr gut kennen. Ich wage zu behaupten, dass wir selten bis nie alle Menschen um uns herum in einer bestimmten Situation wirklich kennen, und somit ist eine Einteilung in Minderheit und Mehrheit für mich ziemlich diffus.
Und was hat das nun mit Sprache zu tun?
Sprache beeinflusst unsere Wahrnehmung, unsere Einstellung und unsere Werte enorm. Das ist unumstritten.
Lange wurde in der deutschen Sprache das generische Maskulinum gebraucht. Das heisst: Wenn ich mir nicht sicher bin, wen ich alles mit meiner Botschaft anspreche, dann nutze ich die männliche Form. Diese Form kommt aus Zeiten, in der es auch tatsächlich realistisch war, dass Sprecher:innen und Autor:innen sich an ein rein männliches Publikum richteten. Nun – diese Zeiten liegen weit hinter uns. Die Sprache hat sich in der Zwischenzeit stark verändert. Gleichberechtigung und eine diskriminierungsfreie Gesellschaft werden angestrebt. Und nun soll das am Gebrauch der Sprache scheitern? Nein!
Regenbogen und Doppelpunkte
Wir befinden uns aktuell wieder im Pride Month. Im Juni feiern Menschen auf der ganzen Welt ihr Recht auf eine selbstbestimmte Identität. LGBTQ+-Communities werden für viele von uns sichtbar. Überall wehen regenbogenfarbene Fahnen und Unternehmen präsentieren ihr Logo vorübergehend in Regenbogenfarben. Menschen werden dazu aufgefordert, selbstbewusst und mit Stolz zu ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Gender-Identität zu stehen. Es geht im Pride Month also um Sichtbarkeit. Eine Sichtbarkeit, die uns vielleicht auch zeigt, dass wir mit unseren Vermutungen über Minderheit und Mehrheit total falsch liegen.
Genau hier kommt die gendergerechte Sprache ins Spiel. Mit ihr können wir die Realität formen und zwar in eine gerechtere Richtung. Wem es ein Anliegen ist, eine möglichst diskriminierungsfreie Sprache zu nutzen und somit eine Sichtbarkeit für alle Menschen zu schaffen, kann auf folgende Mittel zurückgreifen:
- Gender-Stern [*]
- Gender-Gap […_innen]
- Doppelformen mit Schrägstrich […/innen]
- Binnen-I […Innen]
- Gender-Doppelpunkt […:innen]
- Neutralisierungen
- Abstraktionen
Der Gender-Doppelpunkt ist in der Praxis relativ neu. Er wird vor allem für digitale Texte verwendet, da Sprachhilfen für Personen mit Beeinträchtigungen im Lesebereich den Doppelpunkt als Pause lesen. Daher entsteht gegenüber der Verwendung von Binnen-I und der Doppelform mit Schrägstrich ein zweifacher Vorteil: Alle Formen zwischen der männlichen und der weiblichen Form werden durch die Lesepause miteinbezogen und die Pause macht das (vorgelesene) gendergerecht formulierte Wort für eine beeinträchtigte Person verständlicher.
Meine Empfehlung
Besonders für digitale Texte (Webtexte, Social Media Captions, Mails, etc.) empfehle ich, den Gender-Doppelpunkt konsequent zu nutzen.
Bei gedruckten Texten empfehle ich den Gender-Stern oder den Gender-Doppelpunkt. Letzterer ersetzt die Doppelformen mit Schrägstrich. Der Gender-Doppelpunkt besticht vor allem durch die Möglichkeit des fast unsichtbaren Einfügens in das Textgefüge.
Wer nicht mit Stern oder Doppelpunkt arbeiten möchte, kann neutrale Begriffe oder Abstraktionen verwenden. Hier gilt jedoch zu beachten, dass diese meist nur im Plural Sinn machen. Die Singularform eines neutralen Begriffes ist grammatikalisch falsch. Ein Beispiel: Die Studierenden ist korrekt, während die Studierende falsch ist. Durch den Artikel und die Endung in der Singularform wird dem Wort wieder ein Geschlecht zugeteilt. Das ist also wenig sinnvoll.
Abstraktionen werden heute schon häufig verwendet. Ein Beispiel dafür ist der Begriff die Professoren, das gendergerechte Pendant wäre hier vielleicht das Führungspersonal des Instituts.
Es ist gut und schön zu sehen, dass unzählige Unternehmen während dem Pride Month ihre Logos nutzen, um ein Zeichen zu setzen. Ganzjährig eine konsequent gendergerechte Sprache zu verwenden, benötigt zwar ein paar Zeichen mehr, ist aber meiner Meinung nach mindestens genauso wichtig.