CRK Backstage - Schulreise 2023
Ich stelle den Wecker auf 05:30 Uhr. Dann mache ich nochmals das Mail auf, das Andrea heute Morgen ans ganze Team geschickt hat. Betreff: Letzte Infos Schulreise. Als ich bei CRK das Praktikum begonnen habe, hat mich Désirée bei der Einführung zwar darauf hingewiesen, dass es eine «Schulreise» gebe. Ich dachte aber, ich hätte sie falsch verstanden. Wer geht als Erwachsener ernsthaft auf eine Schulreise? Sollte man das nicht Betriebsausflug oder – etwas cooler – Agenturtrip nennen? Den CRKlerinnen und CRKlern scheint dies jedenfalls egal zu sein. Das ganze Team freut sich schon seit Wochen auf die bevorstehenden zwei Tage.
Wohin es morgen früh gehen wird, weiss niemand so genau. «Wa wier higänd, isch immer e hüere Uberraschig», meinte Andrea zu mir in ihrem sympathischen Walliserdialekt. Ich dachte, sie hätte die Angabe in ihrer E-Mail von heute Morgen vergessen. Und da ich nun weiss, dass man bei Infomailings und Medienmitteilungen immer die fünf W’s beantworten muss (Wann, Wo, Wer, Warum und Wie), wollte ich Andrea eines Besseren belehren. Aber nein. Der Ausflugsort der Schulreise wird immer als grosses Geheimnis gehütet. An dieser Stelle kann ich somit bezeugen: Bei CRK sind vertrauliche Informationen in guten Händen. Nichts, das als «streng geheim» deklariert wird, kriegt man aus meinen Kolleginnen und Kollegen raus!
Leider nicht zu meinem eigenen Vorteil. Denn ich mache mir Sorgen, ob ich alles Nötige eingepackt habe. Andrea betont in ihrer E-Mail, dass man genügend Kleider nach dem «Zibilu-Prinzip» mitbringen solle. Es könne am ominösen Ausflugsort heiss werden. Aber auch eiskalt. Zwinkersmiley.
Um 05:30 Uhr klingelt mein Wecker. Ich habe nicht so gut geschlafen. Etwas benommen zwinge ich mich aus meinem warmen Bett und ziehe meine bereitgelegte Kleidung Schicht um Schicht an. Als letztes kommen die Wanderschuhe dran. Ausgerüstet wie Jack Wolfskin höchstpersönlich schleppe ich mich durch Zürichs Hipster-Quartiere in Richtung HB. In diesem Moment fühle ich mich nicht so, als wäre ich erst am Anfang meiner Karriere, sondern bereits in Pension.
Bei der Europaallee treffe ich auf meine Gspändli. Alle sehen in etwa aus wie ich, nur etwas professioneller: Faserpelz, Trekkinghosen und Tschäppi. «Hast du auch leichte Handschuhe und eine Mütze oder ein Stirnband dabei?», fragt mich Désirée als Erstes. Ich schüttle den Kopf. «Ich bin doch nicht so ein Gfrörli», meine ich zu ihr. Miro, einer der Berater im Team, klopft mir grinsend auf die Schulter. «Du wirst schon sehen, dass du das alles heute noch brauchen wirst.» Ob er bereits weiss, wo es hingeht?
Ein paar Stunden und Züge später befinden wir uns in Fiesch, bei der Talstation der Aletsch Arena. Unsere Bergführer haben uns da freundlich empfangen und erklären uns die Tour, die uns auf dem grössten Gletscher der Alpen erwartet. 20 Kilometer lang und aus 10 Milliarden Tonnen Eis soll der weisse Riese bestehen. Ich staune. «Wir werden uns oben, nach einer rund zweistündigen, gemütlichen Wanderung bis zum Aletschgletscher in kleinere Gruppen aufteilen», meint einer der Bergführer, «für eure Sicherheit.» Langsam wird mir bewusst, was mir bevorsteht.
Oben angekommen, werden wir von den Bergführern mit Steigeisen ausgerüstet und mit Seilen gesichert. Sie klären uns kurz über die Gefahren auf, die auf einem Gletscher lauern. «Vorsicht vor den Gletscherspalten!», ruft einer aus. «Und zieht eure Handschuhe an. Das Eis hat scharfe Kanten. Wenn ihr ausrutscht, verletzt ihr euch sonst», ergänzt ein anderer. Etwas besorgt schaue ich mich um. Wie es aussieht, bin ich der Einzige, der keine Handschuhe mitgenommen hat. Da tippt mir Désirée auf die Schulter. «Schau mal, Aurelian. Ich konnte die hier für dich auftreiben», sagt sie und hält mir pinke Paillettenhandschuhe hin. «Es gibt bei uns immer jemanden, der vorsichtshalber doppelt einpackt.» Sie würden nicht zu meiner Jacke passen, versuche ich ihr scherzhaft als Ausrede aufzutischen. Doch der vorwurfsvolle Blick des Bergführers stimmt mich um und ich ziehe die bunt glitzernden Handschuhe widerwillig an. Und kaum haben wir das leider nicht so ewige Eis betreten, lässt der Gletscher meine Bedenken schmelzen. Der Aletschgletscher, so mein Fazit am Ende des Tages, ist vor allem eins: Eine einsame Schönheit, die es zu bewahren und zu schützen gilt.
Beim gemeinsamen Abendessen später im Hotel höre ich meinen Kolleginnen und Kollegen gespannt zu, die sich vor ein paar Wochen erfolgreich für die Annahme des Klimagesetzes eingesetzt haben. Die guten Gespräche, das feine Walliser Essen und der lange Tag in den Bergen machen mir schliesslich zu schaffen. Meine Augenlider werden langsam schwer. Ich muss laut gähnen. Miro klopft mir, wie bereits heute Morgen am Bahnhof, grinsend auf die Schulter. «Hey, Aurelian, du hast dich bisher echt tapfer geschlagen auf unserer Schulreise», meint er zu mir, «aber jetzt geht es erst richtig los!». Ich höre von Weitem die Musik lauter werden. Alle bewegen sich in Partylaune in Richtung Hotelbar. Ich erkenne das Lied, das freudige «Woohoo»-Rufe auslöst und die Ersten das Tanzbein schwingen lässt: «…weil so lässt es sich leben und niemals ohne mein Team…».
Ich stehe auf und bewege mich auf die Bar zu. Was für eine Schulreise!
Disclaimer: Aurelian Genzia ist ein fiktiver Charakter, der keiner realen Person nachempfunden ist. Seine Erlebnisse basieren allerdings auf realen Begebenheiten im CRK-Alltag.